To whomever emptiness is possible, all things are possible.
- Nagarjuna, Root Verses on the Middle Way
Höhlen aus Höhlen, Höhlenlandschaften, Höhlenwelten. In Höhlen lebst du und Höhlen hat dein Geist zu seiner Heimat gemacht. Tief bist du gefallen, als du dich in den Abgrund gestürzt hast, und hart ist dein Aufprall gewesen. Alle deine Knochen sind zerbrochen, als du in das tosende Meer eingeschlagen bist, und deine Seele hat dich verlassen, als die schäumenden Wellen über dir zusammengebrochen sind. Da habe ich dich aufgenommen und der Brandung entgegen gezerrt, bis wir die Klippen erreichten, auf die ich dich gebettet habe. Du lagst in einer tiefen Ohnmacht, in der du lange Zeit verweilen solltest. Nur dein fahles Gesicht zuckte hin und wieder schmerzerfüllt auf, während dein Körper wie gelähmt erschien, als seie er der einer Puppe. Ich saß bei dir, als hielte ich eine Totenwache, und blickte auf die wogende See hinaus, von der du dich soweit treiben lassen hattest. Es war eine einsame Wache, eine Pflicht, der ich geplagt von endloser Müdigkeit Folge leistete.
Nach vielen Tagen erwachtest du zum ersten Mal und blicktest mich stumm an. Da flößte ich dir Wasser ein, dass du in gierigen Schlücken verschlangst. Dann senkte sich dein Kopf auf deine eingefallene Brust, die im Mondilcht silbern schimmerte, und dein Mund formte lautlose Silben. Hilflos fielst du zurück in deinen Schlaf, deine Hände über deinen Schultern gekreuzt, als wolltest du dich vor dir selbst schützen schützen. In fiebrigen Nächten sah ich deine Träume über dich hereinbrechen wie erbarmungslose Sturmwogen, schreckliche Gewalten, denen du dich wehrlos ergabst. Du glichst einem Greis, der im Körper eines Jungen gefangen ist, tanzend mit Geistern, tobend, in einem grausamen Ringen gefangen, das dich nicht ließ. Wie ein Schlafwandler erhobst du dich im Morgengrauen und warfst dem tobenden Meer, das deine Knöchel zu umspülen begann, lange, schwermütige Blicke zu, bis der Schlaf dich wieder umfing. Dann, eines Tages, wandtest du dich ab und tratest mit gesenktem Kopf auf mich zu. Auf meine erschwachten Schultern gestützt, stolpertest du den Höhlen entgegen, die sich in den Klippen öffneten wie die Herzkammern eines verlassenen Gerippes. Hier war ewige Nacht, die Stille einer verlassenen Welt. Glatte, ausgespülte Steine, Hallen von unschätzbarer Länge, vollkommen ausgehöhlt.
Deine Augen schlossen sich, als du dich auf einen Felsvorsprung legtest und lautlos zu schluchzen begannst. Du hattest dein Leben um den Preis deiner Träume erlangt. Jetzt konntest selbst du ihnen nicht mehr glauben, sie hatten dich verlassen wie die Raben, die über dich hinweggezogen waren. Deine Welt war vollkommen ausgeleert, ein Friedhof ohne Leichen, Reich des Todes, aber nicht der Toten. So begannst du, durch die Höhlen zu irren, in immer größere Nacht vorzustoßen, verzweifelt suchend, als wären sie es, in denen deine Träume verborgen wären. Manchmal war es mir, als könnte ich dein Flüstern aus großer Ferne vernehmen, dann waren die Höhlen wieder von gespenstischer Stille durchzogen. Ich verblieb regungslos an unserem Lager, verblieb der Ruf, der dich des Nachts aus deinen Verirrungen führte. Dann legtest du dich neben mir nieder und starrtest ausdruckslos in die Untiefen hinein, die sich jenseits von dir öffneten. Du warst mit dir selbst zerfallen, hattest vergessen, woher du kamst oder woher du gingst.
Nach einiger Zeit bemerkte ich blutige Striemen auf deinem ausgemergelten Körper, der inzwischen so bleich geworden war wie Schnee in der Nacht. Wenn ich meine Finger über deine dünne Haut fahren ließ, begannen deine Hände zu zittern. Hilflos rolltest du dich zusammen wie ein Tier und stießest qualvolle Laute aus, als stündest du vor dem Tode. Du hattest deine Stimme erneut verloren, dich selbst aufgelöst in dein Leiden, von dem du vergessen hattest, wie es dich übermannt hatte. So lag dein einziger Trost in dem tiefen, traumlosen Schlaf, der dich in manchen Nächten in andere Welten führte. Wenn du über diese deine Träume zu sprechen versuchtest, trat eine gequälte Klarheit in dein Gesicht, als hättest du für einen Augenblick verstanden, wo du dich befandest. Dann rafftest du dich wieder auf und wandtest dich mit ausdruckslosem Antlitz den Labyrinthen zu, die du inzwischen besser kanntest als dich selbst. Dort, in der Finsternis, glaubtest du dich selbst finden zu können. Und doch wurden deine Wanderungen kürzer und unsteter. Ich hatte das Gefühl, dass du begonnen hattest, lautlos um unser Lager zu kreisen, und manchmal bemerkte ich deine fiebrigen Blicke aus der Ferne, wie sie sich auf mich richteten, der ich dich schweigend erwartete. Deine Stille war auch die meine geworden, und in diesem Spiel der gegenseitigen Belagerung hatte mich eine plagende Schwermut überkommen, die mich immer ergriff, wenn ich dein gesenktes Antlitz anschaute.
An manchen Tagen fiel ich in einen unruhigen Schlaf und sah Schatten vor mir, die um mich schwirrten, bis ich erwachte und in deine unruhigen, tiefschwarzen Augen blickte. Nach langer Zeit – ich hatte das Gefühl angenommen, mich in einem Traum verloren zu haben, aus dem es keinen Ausweg mehr gab –, begannst du, dich mir gegenüber niederzusetzen und mich anzublicken, lange und wortlos. In deinen trüben Augen lagen Welten begraben, tausende unausgesprochene Worte, ein schrecklicher Zorn, die Angst eines Kindes. Langsam, dich in deiner Kraftlosigkeit sammelnd, ließest du all diese Dinge an die Oberfläche treiben und den leeren Raum zwischen uns füllen. Endlose Räume breiteten sich zwischen uns aus, Räume, die du öffnetest und schlossest, die im Rythmus deines Pulses geboren wurden und wieder starben. Vor mir erstanden Szenen des Zerrisses, weite und trostlose Ödelandschaften, in denen du Feuer legtest und alles Wachsende zertrümmertest, große, reißende Meere, ein verlöschender Stern. Dann, nach einer zeitlosen Ewigkeit, traten deine Tränen wie ein Vorhang zwischen uns, aber hinter dem Vorhang war ein dumpfes Licht, das die Finsternis nicht länger verbergen konnte. Und mit deinen Träumen kamen auch deine Worte zu dir zurück, flossen aus dir hervor wie eine unaufhaltbare Sturmflut, begruben mich unter sich, rissen mich in die Wogen deiner Rede hinein und gaben mich wieder frei. Und so erglühten die Nächte im fiebrigen Fluss deiner Rede, die den Abgrund füllte und ihn überschritt, wieder und wieder. Drei Tage und drei Nächte sprachst du, die Höhlen bevölkernd und entleerend, deinen Kampf ausfechtend mit verbitterter Gewalt, dann verstummtest du plötzlich und fielst auf dein Lager zurück, während deine letzten Worte durch die Höhlen hallten wie ein unauslöschliches Versprechen. In deinen Augen las ich eine große Erschöpfung, während du milde meine Hand in die deine nahmst und sie auf dein fiebriges Haupt legtest. Ich wusste, dass du überwunden hattest, wo du alles zu verlieren glaubtest. Es war vollbracht.
Hier endet diese Reise also wohl. Nicht, dass sie hier enden müsste. Sie könnte ebenso gut ins Unendliche fortgeführt oder auch an jedem Punkt abgebrochen werden. Am Ende ist das eine Entscheidung, die nur derjenige treffen kann, den sie mit sich zerrt. Uns aber hinterlässt sie hier, in einem Raum des Schweigens, spült uns an diese felsige, raue Küste unserer Träume. Hier wird sich zeigen, ob auf das Schweigen Rede folgt. Damit hat sie ihre Pflicht erfüllt.